Ausstellungen
Ausstellung "Entwicklungen"
Ansprache Michael Becker / Leiter der wfk
Sehr geehrte Damen und Herren, kreative Transformationen bilden den zentralen Gegenstand künstlerischer Ausbildung an der Wiesbadener Freien Kunstschule. Diese Ausstellung macht sich zur Aufgabe, den Betrachter für den notwendigen lebendig-strategischen Charakter bildnerischen Arbeitens zu sensibilisieren. Eine ernsthafte bildnerische Beschäftigung erfordert ein tiefes Eindringen in die Sache selbst. Weder Handwerk noch Theorie festigen sich durch bloßes oberflächliches Abhandeln bildnerischer Themen. Sie erfordern eine intensive sachhaltige Auseinandersetzung - (schließlich geht es nicht um irgendeinen, sondern um den Beruf.) Der privilegierte Beruf des Künstlers hat die Dimension Mensch zum Gegenstand, dieser wird zum Andersdenken und Andersempfinden angestiftet, er wird schockiert, irritiert, verletzt, in Zweifel gezogen, missioniert, stimuliert, besänftigt...
Um als Künstler das notwendige humanistische Potential zu entfalten, muss er ins ernsthafte Experiment eintauchen: ins Experiment mit sich selbst und mit dem sinnlichen Material, denn beides ist nicht zu trennen: ohne die erforschende Tuchfühlung mit dem Material keine geistige Entfaltung, keine Ideenentwicklung ohne sinnliche Konkretisierung durch die strategische Modelung des Materials.
Kunst ist innovatives sinnliches Denken.
Kompositionslehre, Farbenlehre, Synthetisches Zeichnen, Malerei, Zeichnen, Fotografie, Film haben für sich genommen mit Kunst nichts zu tun. Auch jemand, der diese Fächer perfekt, d.h. theoretisch und praktisch beherrscht, ist noch lange kein Künstler. Wer malen, fotografieren, zeichnen, filmen kann, ist nicht bereits ein Künstler. Bildnerische Disziplinen sind lediglich handwerkliche Instrumente des bildnerisch-künstlerischen Ausdrucks, denen unter der Regie des Künstlers Leben eingehaucht werden muss, ein Leben, das die Kraft hat, den Menschen auf einen neuen Erfahrungsstand zu bringen.
Ein Künstler kommt ohne ein fundiertes handwerkliches Können nicht aus, denn schließlich muss im gestalteten Ausdrucksmaterial die geistig gestiftete Idee zu wirkungsvoller Erscheinung gebracht werden. Die auratische Kraft eines bedeutenden Werkes, in der sich die geistige Energie bündelt, macht aus ihm einen Bildungsgegenstand, durch den der Betrachter in eine fremde Welt katapultiert wird, die ihn aufrüttelt und zu neuen und anderen Taten motiviert.
Die wfk setzt ein Gegengewicht gegen den Beliebigkeits- und Oberflächlichkeitswahn heutigen Kultur- und Kunstverständnisses. An allen Ecken und Enden tritt uns ein standardisiertes, im Grunde langweiliges Unterhaltungsprogramm entgegen, das unseren Verstand fesselt und ihn unter Niveau hält, im wahrsten Sinne unter-hält... Letztlich scheint es immer darum zu gehen, aus uns angepasste und willenlose Kreaturen zu machen, die vorgefertigte Denk- und Handlungsrezepte kritiklos adaptieren und ebensolche Güter des Marktes konsumieren. Die sogenannte Kunstszene hat vielfach von Kunst keine Ahnung, aber produziert natürlich „Kunst“, wie kann es auch anders sein. Die an jeder Ecke, sei es in Galerien, in Kunsthallen, auf Kunstmessen etc. anzutreffende Nachahmungsästhetik glänzt in ihrer kreativen Anmaßung, ihre innere Struktur erweist sich aber oftmals als Ergebnis eklektischen Diebstahls geistigen Eigentums, oberflächliche Reize geistlos adaptiert und umgemodelt und schamlos als Eigenes ausgegeben. Nichtkenntnis von künstlerischen und kunstgeschichtlichen Fakten schützt nicht vor fachlicher Verurteilung, z. B. von unserer Seite. Unsere Beurteilungsmethoden gründen nicht auf dem Geschmacksprinzip, bei dem jeder seinen subjektiven Senf dazugibt und am Ende niemand schlauer ist als vorher... Die wfk hat eine einmalige Methode entwickelt, die in der Lage ist, über subjektive Willkür hinauszukommen: eine Methode, die es schafft, ein lebendiges Portrait des Wesens einer künstlerischen Charakterstruktur (des bildnerischen Werkes) zu entfalten. Eine Beurteilungsmethode, die damit auch für einen niveauvollen Unterricht geeignet ist: Jede Etappe der bildnerischen Arbeit wird unter die Lupe genommen, reflektiert, in ihre Einzelteile zerlegt; sie wird damit zu einer unverzichtbaren Prüfungsinstanz, die über den aktuellen handwerklichen und geistigen Stand Bericht erstattet und für den Schüler eine nützliche Rückmeldung zur Verfügung stellt, an der er sich abarbeiten und eine gefestigtere Arbeitsstrategie entwickeln kann. Unser intensives individuelles Bemühen bewahrt ihn vor einem willkürlichen Abdriften ins orientierungslose Machen, das ihm das Gefühl, eine bedeutsame Tat vollbracht zu haben, vortäuscht. Wir wollen unsere Schüler vor Selbstlügen bewahren, sie vor klare Verhältnisse stellen. Nur eine konstruktive Kritik, die sich ehrlich mit bildnerischen Arbeiten auseinandersetzt, und damit wirklich für jeden nachvollziehbar auf den Punkt bringt, wo der Hase läuft, trägt zur künstlerischen Entwicklung des Einzelnen bei.
Innerhalb der letzten 31 Jahre seit Gründung der Wiesbadener Freien Kunstschule ist ein kontinuierlicher und bis heute dramatischer Abfall der Leistungsbereitschaft auf dem Sektor der bildenden Kunst zu verzeichnen.
Familiäre Heimeligkeit und berufliche Verpflichtungen können heute nur noch gegen erheblichen Widerstand zugunsten eines fruchtbaren bildnerischen Arbeitens umgepolt werden.
Solange Kunst lediglich Anhängsel des Lebens bleibt, als bloßes Accessoire verstanden wird, verkommt sie zu einem Hobby. Kunst kann und darf aber kein Hobby sein, sondern muss als Lebensprojekt verstanden werden.
Nur mit Kopfschütteln quittierten Schüler der wfk, durch den intensiven Unterricht mit einer sensibilisierten Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit ausgestattet, die unverschämte Ausstellung von Arbeiten von Studierenden der Städelschule Frankfurt im Ministerium für Wissenschaft und Kunst hier in der Landeshauptstadt. Mit teuren Plakaten und Werbebannern wurde die Städel-Ausstellung umworben, und doch zeugen die Werke von einer konzeptlosen und handwerklich unzulänglichen Machart. Der Kommentar einer wfk-Schülerin: „Das machen die Kinder unserer Juniorenklassen 10 Mal besser...“ Ausdruckslose Gedankengeburten unsinnlich veräußert markieren den heutigen Stand vieler Kunsthochschulen:
Faktisch scheint es nur noch in vereinzelten Fällen eine professionelle handwerkliche und fundierte theoretische künstlerische Ausbildung zu geben, nicht zu verwechseln mit einem thematischen Angebot, das ja auch z.B. im Stadel repräsentativ existiert. Eine konsequente individuelle Förderung, die auf niveauvollen objektiven und damit nachvollziehbaren Kriterien beruht, die den sich entwickelnden Schüler in seiner Autonomie ernst nimmt, gibt es sehr sehr selten. Und individuelle Förderung meint auch nicht allein das Verbreiten von subjektiven und oft fachlich nicht begründeten Meinungen über das Werk. Es geht darum, eine professionelle Auseinandersetzung mit künstlerischen Werten zu erwirken, nicht um die subjektive Distribution von Kunstzampanos.
Die wfk bearbeitet momentan zwei interessante Projekte: Zum einen handelt es sich um die Konzipierung und Ausarbeitung eines 90 m langen Bettenflures der Wände der Horst-Schmidt-Kliniken durch malerische Bearbeitung sowie um die Gestaltung der Räume des neuen Gebäudes des Katasteramtes Wiesbaden auf dem Konrad-Adenauer-Ring. In beiden Fällen interessiert uns der Anspruch und die Anforderung, das Arbeitsklima von Arbeitsplätzen von vielen Menschen aufzuwerten und zu bereichern. Die Wirkung von Farbe und Form wird ihren Dienst am Menschen leisten.
Die Filmdarbietungen, die Sie während dieser Ausstellung vergegenwärtigen, eröffnen Ihnen Einblick in die filmischen Möglichkeiten, die über reine Dokumentation des bereits Bekannten und Gesehenen hinausgehen.
Somit wird auch seit kurzem an der wfk das bewegte Bild Gegenstand einer professionellen Auseinandersetzung. Der experimentelle Umgang mit dem filmischen Medium schließt die Anforderungen aus Kompositionslehre, Synthetischem Zeichnen, Farbenlehre und Fotografie mit ein, die Ausdrucksmöglichkeiten erweitern sich damit erheblich, konzeptuelles Denken und Intuition, vereint mit einem ungebändigten Spieltrieb, erweitern sich auf die sequentielle Gestaltung von Raum und Zeit. Der Film in seiner künstlerischen Verwendung entwickelt den befremdlichen, nicht kategorisierbaren Gedanken- und Bilderfluss, der dem Zuschauer zur Befreiung seines eingefahrenen Interpretationssystems eingepflanzt wird.
Besonderes Augenmerk gilt den Arbeiten unserer Kinder in diesem Raum, sie sind der wahrhafte Ausdruck lebendiger, phantasievoller Kreativität, und die Gemeinschaftsausstellung von Kindern und Erwachsenen symbolisiert unsere Erkenntnis vom Künstler als methodisch kontrolliertes Kind.
Michael Becker / Schulleitung
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